BERIT BOERKE

EXPERT TALK 03

Berit Boerke iM INTERVIEW MIT
«RAILTALKS.»
– 2024

Berit Börke ist CEO und Founder der PARTNER FOR PIONEERS GmbH und außerdem im RAILTALKS. Partnernetzwerk dabei! In einem ausführlichen Gespräch teilt Berit unter anderem echte Insights aus der Logistikwelt und ihre Gedanken rund um die dringenden Modernisierungsbedarfe und Hebel für eine Effizienzsteigerung im Schienenverkehr.  

 
 
 
 
 
 
 
 

RAILTAKS.
Liebe Berit, könntest du dich bitte unseren Leser*innen einmal vorstellen?‍

BB «Sehr gerne. Ich heiße Berit Börke und ihr könnt mich im Rail Freight Business „verorten“. Ich bin bereits während meines Studiums durch die Begegnung mit interessanten Menschen, also eher zufällig, zur Logistik gekommen. Und dieser spannende Bereich, wo Systeme über Grenzen hinweg funktionieren, weil es immer bessere Technologien gibt und Teams mit sehr viel Spirit und „Hands on“- Mentalität zusammenarbeiten, hat mich dann nie wieder losgelassen. Den Logistikmarkt und Verkehrssektor kenne ich aus unterschiedlichen Perspektiven und Rollen. Ich habe Vertriebsorganisationen und -teams aufgebaut, geführt und weiterentwickelt. Mit den Schwerpunkten Business Development, Key Account Management und Customer Service habe ich immer dort gearbeitet, wo es unmittelbar um den Kunden und die Übersetzung seiner Bedarfe in Produkte und Leistungen sowie stabile langjährige Beziehungen geht. Dabei gibt es eine Konstante, nämlich Transportlösungen auf der Schiene mit Logistiksystemen unterschiedlicher Branchen und Segmente zusammenzubringen. Ich war bei TXLogistik und der Transfracht verantwortlich für die intermodalen Netzwerke sowie individuellen Ganzzugverkehre in Deutschland und Europa. Die PARTNER FOR PIONEERS GmbH habe ich vor 3,5 Jahren gegründet. Mit dem Ansatz „ready to implement“ unterstützen wir Unternehmen bei der Strategiefindung und -anpassung in unsicheren Zeiten, entwickeln gemeinsam mit ihnen Lösungen und sind immer gerne auch aktiver Partner bei der Umsetzung, denn auf die kommt es letztlich an.‍»

 

RAILTAKS.
Welche innovativen Technologien und Konzepte tragen denn deiner Meinung nach am meisten zur Modernisierung und Effizienzsteigerung des Schienenverkehrs bei?

BB »Der Schlüssel zur dringend notwendigen Verdichtung des Schienennetzes und zur Schaffung zusätzlicher Kapazitäten, auch in den Terminals, ist die Digitalisierung. Alle Technologien, die zum verbesserten Kapazitätsmanagement, zur Automatisierung von Abläufen und Tätigkeiten sowie zur optimierten Entscheidungsfindung bei den vielschichtigen Transaktionen in unserem Business beitragen, halte ich für immens wichtig. Welche den größten Impact hat? Darauf kann ich mich nicht festlegen. Durch den Einsatz von KI, Digitale Zwillinge, Robotic und Virtual Reality werden auch im Schienengüterverkehr Entwicklungsschritte beschleunigt werden können. Für elementar halte ich nach wie vor die Realisierung einer durchgängigen „Connectivity“, d.h. dass alle Akteure in der gesamten Transportkette frühzeitig oder sogar in Realtime über Ereignisse informiert und in die Lage versetzt werden, Prozesse anzupassen. Der Wert liegt auf der Planungs- und Managementebene sowie in der Auftragsdurchführung. Das Trassen-, Slot- und Ressourcenmanagement zum Beispiel könnte enorm verbessert werden. Das mag in einzelnen Verkehren auch schon funktionieren. Wir brauchen für einen richtigen Effekt aber die Gesamtheit in der Fläche sowie den Connect mit den Lieferketten der (End-)Kunden. Aus meiner Sicht gibt es insgesamt keinen Mangel an verfügbarer innovativer Technologie, sondern ihre Anwendung, die viel stärker als bisher auf Standards setzt, muss beschleunigt werden. Dafür sind Kooperationsfähigkeit und -bereitschaft erforderlich. Und das ist immer noch eine große Herausforderung, die viel Durchhaltevermögen und sportlichen Ehrgeiz erfordert. Innovative Konzepte, die dafür sorgen, dass die Züge rollen, verstecken sich oft hinter den Kulissen. Rail Operations Units mit Control Tower, smarte Backup-Konzepte, die die komplementäre Nutzung der Straße beinhalten oder Hub-Konzepte, mit der industrielle Fertigungsmethoden auf die Schienenproduktion übertragen werden, fallen mir dazu als Beispiele ein. Ich sehe auch das Potential von Sharing Konzepten in diesem Geschäft, wo Ressourcen knapp, die Volatilität hoch und der Druck auf die Auslastung von Assets 365 Tage im Jahr besonders hoch ist.‍«

 
 

RAILTALKS.
Für was schlägt denn das Herz von PARTNER FOR PIONEERS besonders? Mit welchen Themenstellungen hilfst du/ helft ihr, die Schiene voranzubringen?

 

BB »Logistics, a part of everyday life – make the right move.« Das ist unser Motto. Logistik macht den Unterschied, ob eine Lieferkette oder ein Unternehmen wettbewerbsfähig ist, und sie ist in den letzten Jahren viel stärker in die Wahrnehmung der Öffentlichkeit gerückt. Mich treiben die Potentiale starker und nachhaltiger Supply Chains mit digitaler DNA: Geschäftsmodelle, Leistungspakete, Investmentstrategien, Kollaborationen. Auf Basis unserer eigenen langjährigen Erfahrungen im operativen Business mit P&L Verantwortung sowie unseres persönlichen Netzwerkes im Markt arbeiten wir z.B. an verschiedenen Shift2Rail-Projekten. Wir sondieren und bewerten Potentiale zur Verlagerung, navigieren durch das System, konzipieren Produkte, gestalten Operating Models und begleiten den Go2Market-Prozess. Das machen wir für verschiedene Segmente, z.B. in der Fertigfahrzeuglogistik und im intermodalen Bereich. Andere Player im Rail Freight Business unterstützen wir bei Positionierungs- und Marktbearbeitungsstrategien sowie in M&A Vorhaben. D.h. wir arbeiten an Themen, mit der das System Schiene an Schlagkraft gewinnt und der Match mit den Bedarfsprofilen der Supply Chain Manager in den verschiedenen Industrien gelingt.«

 

RAILTALKS.
Was sind denn Aspekte, die sich deiner Meinung nach im Sektor in den letzten Jahren zum Guten entwickelt haben? Welche nun gerade nicht?

BB «Der Rückstau in der Infrastrukturentwicklung, Defizite im Infrastrukturmanagement und die weiterhin in relevanten Punkten fehlende Interoperabilität in Europa sind nach wie vor große Hemmnisse. Nur wenn endlich ausreichend investiert wird und dabei einer verbindlichen, transparenten Roadmap gefolgt wird, kann das Vertrauen in das Systemstabilisiert und gestärkt werden.

Es gibt eine Reihe von positiven Entwicklungen, die darauf einzahlen, dass die Schiene auf Augenhöhe in Sachen Kapazität, Wirtschaftlichkeit, Servicelevel mit- und ihre Stärken besser ausspielen kann. Mit Blick auf die Angebotsseite möchte ich drei Beispiele nennen. Erstens, Stichwort One-Stop-Shop-Produkte: Durch die vertikale Diversifikation von Geschäftsmodellen, d.h. durch die Integration wesentlicher Elemente der Wertschöpfungskette, sind für die Kunden in den letzten Jahren einfacher nutzbare End-to-End-Lösungspakete entstanden. Etablierte Modelle der Spediteure und Carrier wurden weiterentwickelt und, der flexible Mittelstand ist dabei. Zweitens: Die Angebote und Kapazitäten neutraler Asset- und Ressourcen-Pools wurden ausgebaut, und werden auch auf Wachstumssegmente wie Automotive, Intermodal oder Renewables ausgerichtet. Das erhöht die Flexibilität für die EVU sowie neue Akteure, die als Operateure tätig werden wollen. Darüber hinaus sind Rail-Operations-Dienstleister entstanden, die es erleichtern, die „asset heavy“ Schiene, eher „asset light“ zu nutzen, ohne Steuerungsfähigkeit einzubüßen. Das senkt die Zugangshürden zum System.Drittens: Digitale Plattformen machen Verbindungen und Netzwerke sowie ihre vielfältige Anbieterlandschaft – die ist nämlich größer als man denkt – sichtbar und reduzieren den vergleichsweise komplexeren Planungs- und Buchungsaufwand. Sie tragen außerdem zur digitalen Vernetzung der Akteure bei. Meine Erfahrungen zeigen, dass diese Entwicklungen von Unternehmen erkannt werden, die in das System investieren und die Schiene nicht nur als Verkehrsträger für ihre Produktion nutzen, sondern auf dieser Basis eigenständige Produkte entwickeln wollen.‍»

 
 
 

RAILTALKS.
Welche Rolle spielt klimaverträglicher Verkehr aus deiner Sicht in der Gesamtheit nachhaltiger Mobilitätssysteme?

[...] können Verkehre und Umweltauswirkungen mit der Schiene deutlich reduziert werden.

[...] können Verkehre und Umweltauswirkungen mit der Schiene deutlich reduziert werden.

 

BB «Im Verkehr liegt natürlich ein großer Hebel zur Dekarbonisierung. In Europa ist er für ca. 27% der Treibhausgasemissionen verantwortlich, und der Straßenverkehr hat den größten Anteil daran. Aufgrund der hohen Produktivität beim Transport großer Volumina auf mittleren und langen Distanzen, Energieffizienz und Sicherheit können Verkehre und Umweltauswirkungen mit der Schiene deutlich reduziert werden. Ich bin davon überzeugt, dass dieser Shift gelingen kann, wenn wir konsequent in integrierten Verkehrssystemen denken. Das heißt für mich in erster Linie, intermodale Produkte auszubauen und dort, wo es sinnvoll ist, in multimodale Angebote weiterzuentwickeln. Das große Potential liegt dabei in segmentspezifischen Logistiksystemen. Auf definierten Transportrelationen müssen Elemente der Infrastruktur, Verkehrsträger, Assets und Logistik-Services zu bedarfsgerechten integrierten Konzepten, Lösungen und Geschäftsmodellen verbunden werden. Spannende Bereiche sind in meinen Augen FMCG, Automotive, Paketlogistik, General Cargo. Das ist anspruchsvoll, aber mit den richtigen Partnern liegen hier die Chancen, die es anzupacken gilt. Das markiert ein anderes Infrastrukturdenken und Logistik-Mindset im Sektor und eröffnet zugleich Chancen, stärker auch privates Kapital für die Modernisierung und einen Boost auf der Schiene zu nutzen. Die Debatten, bis wann, wieviel CO2 realistisch eingespart werden kann und welchen Beitrag dies zum Klima leistet, werden ja durchaus kontrovers geführt. Bei der Frage, wie wir die Umwelt wirksam schützen können und welchen Beitrag Mobilitäts- und Verkehrssysteme leisten können, halte ich viel von dem Leitgedanken „Return to Value“ und dem Konzept der Circular Economy. Wir liegen heute weltweit nur bei ca. 7% Zirkularität von Wirtschaftsgütern. Wir Logistiker können noch viel stärker in die Rolle als aktiver Gestalter und Treiber dieses Wandels gehen und die Schiene, z.B. bei der Gestaltung von Reverse Logistics Konzepten einbringen. Also, es gibt eine Reihe spannender Themen und Aktionsräume in Sachen Innovation, Nachhaltigkeit und Resilienz. «